Bobsport auf Weltklasseniveau: alles für den einen Moment
18.12.2024 GesellschaftDer Baarer Timo Rohner hat sich als einer von drei Schweizer Bobpiloten für den Weltcup qualifiziert. Er startet im 2er- und im 4er-Bob. Sein Ziel: die Top 6 im Weltcup und an der Weltmeisterschaft.
ANNETTE KNÜSEL
Mit den Ergebnissen der ersten beiden Weltcup-Rennen in Altenberg (Deutschland) und Sigulda (Lettland) ist Rohner erstmal zufrieden. Auf der berüchtigten Bahn in Altenberg erreichte er im 2er-Bob Rang zehn und im 4er-Bob Rang acht. Somit sind gute vordere Startplätze bei den nächsten Rennen gesichert.
Drei Dinge entscheiden über den Erfolg einer Bobmannschaft: das Material (der Bob), die Fahrtlinie und die Startzeit. Der Start des 4er-Bobs sei gut gewesen, sagt Rohner, wenn man berücksichtige, dass sowohl der Schlitten als auch die Hälfte der Mannschaft neu sei. Der neue Schlitten laufe gut, das sei keine Frage. Doch es ist auch klar, dass man sich beim Start noch verbessern kann.
Nur einmal probiert und sofort infiziert
Zum ersten Mal eingestiegen in einen Bob ist Timo Rohner fünfzehnjährig. Der Sohn des Olympia- Vize-Meisters von Nagano, Marcel Rohner, wollte einfach mal probieren, was sein Vater da macht – und fand es «ultimativ geil». Seither gibt es für ihn kein Halten. Nach seiner Berufslehre setzte er alles auf den Leistungssport. Heute ist er im C-Kader von Swiss Sliding, dem Schweizer Bobverband. Für diese Saison hat er vier Ziele: Er möchte sich einen Platz unter den Top 6 im Weltcup sichern und unter die Top 6 der Weltmeisterschaft in den USA kommen, einen Platz unter den Top 4 bei den Startzeiten erreichen und ein Team für Olympia 2026 aufbauen.
Zwischen Kontrolle und Kontrollverlust: fahren am Limit
Als Bobfahrer geht Rohner maximal ans Limit: Eine Fahrt dauert je nach Bahn ein bis zwei Minuten, es werden Geschwindigkeiten von bis zu 140 Kilometer pro Stunde erreicht, das Unfallrisiko ist hoch – und der Einfluss des Piloten sehr beschränkt. Eigentlich könne er nur in den Kurven lenken, sagt Rohner. Wenn der Bob dank der Fliehkraft die Wände des Eiskanals hochsteigt und durch die g-Kräfte sein Gewicht vervierfacht, hat der Pilot eine kleine Chance, die Fahrtlinie seines Schlittens mit wohl dosiertem Ziehen an einem der beiden Lenkriemen zu optimieren. Auf den geraden Streckenabschnitten stürzt der Bob einfach nur abwärts. Und das soll er auch, so schnell wie irgend möglich.
Der Pilot Rohner braucht also ein gutes räumliches Vorstellungsvermögen, Grundkenntnisse in Physik und ein schnelles Auge. Die ersten beiden nutzt er, um die Fahrt im Vorfeld möglichst genau zu visualisieren. Denn bei einem Tempo von 35 Metern pro Sekunde ist man schnell einmal zu spät. Rohner muss sich genau darüber im Klaren sein, wie der Bob sich an dieser oder jener Stelle verhalten wird – und entsprechend vorher handeln. Vorstellungsvermögen und Physik-Know-how sind da, das «schnelle Auge» muss Rohner zu Beginn jeder Saison neu aktivieren. Erst durch die Trainingsfahrten tritt wieder eine gewisse Gewöhnung ein, wodurch diese Leistung dann im Rennen abrufbar ist.
Elf Monate intensives Training für fünf Sekunden Einsatz
Körperliche Fitness ist eine weitere Bedingung für das Bobfahren. Trainiert wird sechsmal pro Woche, elf Monate im Jahr. Nur nach Saisonende gibt es einen Monat Trainingspause. Und das gilt auch für die Anschieber. Ihr Einsatz beschränkt sich zwar auf etwa fünf Sekunden pro Rennen, nämlich den Start. Aber hier müssen sie sich voll reinhängen: Mit explosiver Schnellkraft und ihrem Körpergewicht verleihen sie dem Schlitten die nötige Wucht. «Am Start entscheidet sich das Rennen», hält Rohner fest. Jede am Start verlorene Hundertstelsekunde potenziert sich im Laufe des Rennens und kann am Ende dazu führen, dass ein anderes Team die Nase vorn hat. Das perfekte Zusammenspiel der Fahrer am Start ist essenziell für die Aussichten auf einen Sieg.
Ein guter Anschieber bringt neben Kraft, Schnelligkeit und Gewicht auch handwerkliche Fähigkeiten ein, denkt mit, packt an. Die Chemie zwischen den Teammitgliedern muss stimmen. «Schlussendlich sind wir eine Mannschaft», sagt Rohner. Sie verbringen viel Zeit miteinander und müssen einander vertrauen. Die Anschieber sind bei Rohner angestellt, damit genug Zeit für Training und Wettkampf zur Verfügung stehen.
Verantwortung übernehmen, gleichzeitig Risiken eingehen
Obwohl er als Pilot während des Rennens relativ wenig Einfluss hat – die drei Anschieber, die sich nach dem Start hinter ihn in den Bob kauern und tief geduckt, ohne etwas zu sehen in die Tiefe stürzen: Sie haben gar keinen Einfluss. Nach ihrer Leistung am Start ist die weitere Fahrt für sie hundert Prozent Risiko, der gute Ausgang des Rennens abhängig vom Piloten. Immer wieder kommt es zu Unfällen, gerade zum Ende der letzten Saison war ein Schweizer Anschieber in Altenberg vom Bob überrollt und verletzt worden. Rohner ist sich seiner Verantwortung bewusst. Am Start, so sagt er, hört man von ihm keine Witzeleien. Das Team soll wissen, dass er die Sache ernst nimmt.
Aber warum geht er solche Risiken überhaupt ein, und wie geht er ganz konkret damit um? Rohner kann das gar nicht so genau sagen. 2021 erlitt er in Altenberg eine Kopfverletzung und musste ins Spital geflogen werden. Das erste Rennen nach dem Sturz war «speziell, aber ab der zweiten Fahrt war’s wie bisher.» Er gibt sich wieder voll rein, egal was war. «Ich mache es seit acht Jahren – ich kann es», sagt er sich vor einem Rennen, Punkt. Wichtig auch: nicht im Team über die Gefahren sprechen. Denn was man ausspreche, das passiere auch.
Fokussiert auf die Gegenwart, die Zukunft kommt später
Als gelernter Zimmermann hat Rohner eine Perspektive für die Zeit nach dem Spitzensport. Aber wann es so weit sein wird, weiss er noch nicht. «So lange das innere Feuer brennt, werde ich sicher noch fahren. Wenn das ausgeht, wird’s schwierig», sinniert er. Bis dahin ist er Leistungssportler, und irgendwie auch Unternehmer: Die Gehälter, die Ausrüstung, die Reisen zu den Wettkämpfen, das alles gibt es nicht umsonst. Zusammen mit seinem Vater, der ihn im Management unterstützt, balanciert Rohner zwischen Sporthilfe, Sponsoren, RS und einem Teilzeitjob in Baar, um bei seiner Jagd nach dem ultimativen Kick auch finanziell auf Linie zu bleiben.
«Er ist gut gefahren, das Material stimmt. Wir sind sehr zufrieden», sagte Vater Marcel nach den Rennen in Altenberg. Fehlt nur noch die dritte Säule: der perfekte Start. Hier will die Mannschaft noch viel am Zusammenspiel feilen. Die Saison hat ja gerade erst angefangen, das Erreichen der selbst gesetzten Ziele sollte möglich sein.