Das Wild in den Wäldern wird zunehmend gestört

  23.10.2024 Natur/Umwelt

Sie sind sehr selten zu sehen, doch leben sie inmitten unserer Wälder. Rehe, Hirsche, Gämsen und Waldbewohner. Wie steht es wirklich um den Wildtierbestand in den Baarer Wäldern?

FRANZ LUSTENBERGER

An einem Oktobernachmittag im Sampfitäli unterhalb des Restaurants Hirssattel. Unterwegs ist Kari Schicker, Jäger und Blickensdorfer Korporationsbürger, zusammen mit seiner Laufhündin Ella. Auf einmal wird die Leine straff; Ella hat im nahen Wald Wild gewittert und möchte das Wild aufstöbern. Doch Jäger Schicker macht ihr klare Ansagen; heute wird nicht mehr gejagt. Schliesslich hat er am Vormittag bereits ein Reh erlegt, eines von zweien, erklärt er: «Pro Jäger sind zwei Rehe erlaubt.» Im Kanton Zug üben mehr als 230 Jägerinnen und Jäger plus deren Gäste eine zeitgemässe Patentjagd aus. Hauptjagd ist die Rehwildjagd im Oktober und November, die traditionell als «laute Jagd» mit Jagdhunden gepflegt wird. Eingeteilt ist der Kanton Zug in sechs Jagdgebiete. Baar liegt zusammen mit Steinhausen und einem Teil von Neuheim im Jagdgebiet 3. Für jedes Jagdgebiet legt das Amt für Jagd und Wild im Voraus die Zahl der erlaubten Abschüsse sowie den Zeitraum und die Wochentage der Jagd fest.

Vor allem Rehe sind in Baar heimisch
Wildtiere kennen keine Gemeindegrenzen. Deshalb beziehen sich die folgenden Zahlen auf den ganzen Jagdbezirk 3. Roman Keller, Wildtierbiologe im zuständigen kantonalen Amt für Wald und Wild erwähnt auf Anfrage folgende Schätzungen: 120 bis 160 Tiere Rehwild, 5 – 10 Tiere Rotwild (Hirsche) sowie 2 – 8 Gämsen. Letzteres mag überraschen, erwartet werden Gämsen doch eher in gebirgigen Gegenden. Jäger Schicker dazu: «Eine Gämsengruppe lebt rund um die Baarburg und fühlt sich dort offenbar heimisch.» Nicht statistisch erfasst oder regional geschätzt sind weitere Waldtiere wie Füchse, Dachse oder Marder. Während in den umliegenden Kantonen Aargau und Zürich Wildschweine gehäuft auftreten, gibt es für Zug keine eindeutigen Hinweise.

Gejagt werden dürfen im Gebiet 3 insgesamt 65 Rehe; bis zum 18. Oktober wurden in der aktuellen Jagd erst 17 Tiere erlegt. Jäger Schicker erklärt sich diese tiefe Zahl so: «Die Rehe verstecken sich viel besser im Dickicht.» Die Tiere würden sich eben der Zivilisation anpassen.

Zerschnittene Lebensräume und zunehmende Störungen
Die Probleme für das Wild in den Baarer Wäldern, generell in allen Zuger Wäldern, sind beim Kanton erkannt. Wildtierbiologe Keller dazu: «Die grössten Probleme für das Wild entstehen durch die Zerschneidung der Lebensräume durch Strassen und Bahnlinien sowie Störungen aller Art.» Er erwähnt etwa die zunehmende Freizeitnutzung oder bauliche Tätigkeiten. Jäger Schicker, der täglich und bei jedem Wetter in seinen Wäldern unterwegs ist, bekräftigt dies: «Das Gebiet ist unruhiger, die Rehe sind scheuer geworden.» Er erwähnt das vor allem seit Corona geänderte Freizeitverhalten. «Alle wollen sich im Wald bewegen, das rücksichtslose Verhalten einiger Menschen bereitet mir Sorgen.» Und er macht ein konkretes Beispiel: Man müsse sich nur die vollen Parkplätze an der Baarerstrasse auf dem Weg nach Kappel im Gebiet des Schönbüelwalds ansehen. Viele Menschen seien mit Hunden unterwegs.

Mit verschiedenen Massnahmen will der Kanton die Situation für Wildtiere verbessern. Dazu gehören etwa Vernetzungen der Lebensräume durch mehr Strassendurchlässe (Unter- oder Überführungen). Im vergangenen Jahr sind gemäss der Fallwild-Statistik auf dem ganzen Kantonsgebiet insgesamt 89 Rehe aufgrund eines Zusammenstosses mit einem Auto zu Tode gekommen; die höchste Zahl der letzten zehn Jahre. Versuchsweise hat der Kanton auf der Ratenstrasse in Oberägeri im August die erste Wild-Warnanlage installiert. Diese macht Fahrzeuglenkerinnen und -lenker frühzeitig darauf aufmerksam, wenn sich ein Tier in der Nähe der Strasse befindet.

Im Februar 2025 soll zudem die neue Jagdverordnung des Bundes in Kraft treten. Darin soll festgehalten werden, dass die Vernetzung von Lebensräumen von Wildtieren eine grössere Bedeutung erhält. Die Flächen für Wildtierkorridore von überregionaler Bedeutung sollen längerfristig besser gesichert werden. Es können – falls nötig – auch Wildruhezonen ausgeschieden werden; bis jetzt hat der Kanton Zug auf dieses Mittel verzichtet.

Wichtige Empfehlungen an die Bevölkerung
Es gibt gemäss dem Wildtierbiologen einfache Verhaltensregeln für die Bevölkerung: «Bleibt auf den offiziellen Wegen und haltet Hunde auf kurze Distanz. Zudem sollte die Nacht im Wald den Wildtieren gehören.» Das kann auch Jäger Schicker unterschreiben, die Rehe stünden nicht nur in der aktuellen Jagdzeit, sondern das ganze Jahr über «unter Strom». Für Biker und Jogger, die in der Dämmerung und nachts mit Stirnlampen im Wald unterwegs sind, hat er etwa gar kein Verständnis. Er wolle Rehe sehen und beobachten können, auch ausserhalb der Jagdsaison. «Die Beobachtung ist mir wichtiger als die eigentliche Jagd.»


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