Etwas Neues anpacken und zum Fliegen bringen

  18.06.2025 Jugend

Die Schulen Baar «tüfteln» an einem neuen Konzept zur Begabungsund Begabtenförderung. Dabei geht es um besonders begabte Kinder – und genauso um alle anderen. Denn eine Begabung hat eigentlich jeder.

ANNETTE KNÜSEL

Wenn jemand Spitzenleistungen erbringen möchte, braucht er oder sie mehr als fachliches Wissen. Denn in einer Sache richtig gut zu sein, erfordert auch Ideen, Mut und Ausdauer. Doch wo lernt man, Ideen zu entwickeln, mutig neue Dinge auszuprobieren und bei Misserfolg immer wieder neu anzufangen?

Nicht nur Schwächen stärken, sondern auch Stärken fördern
Für Schulkinder der Primarstufe, die vom regulären Unterricht eher unter- als überfordert werden, gibt es schon seit 2001 ein Konzept zur «Begabungs- und Begabtenförderung» (BBF). Es sieht in Baar zentrale Lernateliers vor, in denen diese Schülerinnen und Schüler zusätzlich zum regulären Unterricht herausgefordert, also gefördert werden. Von den rund 2’250 Baarer Schulkindern profitieren davon etwa siebzig.

Derzeit arbeiten die Schulen Baar zusammen mit einer externen Fachperson an einem neuen Konzept. Darin werden zwei Veränderungen angestrebt. Zum einen soll die Begabtenförderung künftig nicht mehr zentral für alle Schulhäuser erfolgen. Stattdessen soll die Förderung direkt an den einzelnen Schulstandorten angeboten werden, um die Integration der Begabtenförderung in die jeweilige Schule der Kinder zu ermöglichen. Zum anderen stellt das neue Konzept das so genannte «offene Lernen» in den Vordergrund.

Ergebnisoffen ausprobieren, um die beste Lösung zu finden
Beim offenen Lernen entscheiden die Kinder selbst, auf welchem Weg und mit welchen Hilfsmitteln sie ein gesetztes Ziel erreichen. Manchmal definieren sie sogar das Ziel selbst. So schulen sie ihre Fähigkeit, Probleme zu erkennen, zu analysieren und schliesslich zu lösen. Der Vorteil des offenen Lernens: Es ist Platz für eigene Ideen, und das erhöht die Motivation deutlich. Die Kinder lernen, aktiv anzupacken statt darauf zu warten, dass ihnen ein Lösungsweg aufgezeigt wird. Sie lernen, ihre Arbeit selbst zu strukturieren und sich auch auf unbekanntem Terrain zurechtzufinden. Alles Fähigkeiten, die für unternehmerischen Erfolg genauso wichtig sind wie in Wissenschaft und Forschung.

Obwohl das Konzept erst 2026 fertig sein soll, hat die Schulleitung schon zu Schuljahresbeginn 2024/25 ein erstes Pilotprojekt gestartet. Für das «Greenhouse» (deutsch: Treibhaus) konnten sich interessierte Schulkinder der Schule Dorfmatt mit einem Brief selbst bewerben. Aus den Interessierten wurden zwölf Kinder der dritten bis sechsten Klasse ausgewählt. Sie treffen sich im Schuljahr 2024/25 an sechs Terminen mit Andreas Reinhard, um gemeinsam «etwas Neues anzupacken und zum Fliegen zu bringen», wie es in der Ausschreibung heisst. Reinhard ist von Beruf Erfinder und hat für seine Firmen und Kunden schon 140 Patente angemeldet. Sein besonderes Interesse gilt Energie- und Mobilitätsfragen. Im Anschluss an ein Referat von Reinhard zum Schuljahresstart 2024 entstand die Idee, gemeinsam das Pilotprojekt «Greenhouse» zu starten.

Den Weg zum Ziel selbst finden dürfen: das spornt an
Bei den drei ersten Treffen hatten die Kinder unter anderem Papierflieger gebaut und damit experimentiert, wie sich die Form des Fliegers und die Gewichtsverteilung auf seine Flugtüchtigkeit auswirken. Anschliessend wurden Flieger aus Styropor gebaut. Der Test, wie gut sie fliegen, stand bisher noch aus. Schon zweimal hatte das Wetter der Gruppe einen Strich durch die Rechnung gemacht: Regen bzw. Wind machten das Ausprobieren im Freien unmöglich. So hatte Reinhard eine andere interessante Aufgabe gestellt: Wer kann einen Timer bauen, der nach 111 Sekunden einen Ton oder ein Geräusch erklingen lässt? Keine leichte Aufgabe: Wann sind 111 Sekunden vorbei? Wodurch entsteht der Ton? Ungelöste Fragen, auf die eine Antwort zu finden war. Manche Kinder arbeiteten dafür mit Wasser, andere mit Murmeln. Der Erfolg war durchwachsen, etwas gelernt haben alle.

Am vergangenen Freitag nun ging es endlich mit den Fliegern nach draussen, zunächst auf die Wiese neben dem Schulhaus Dorfmatt. Die Schülerinnen und Schüler liessen ihre Konstruktion fliegen und beobachteten ganz genau, in welcher Linie sie sich bewegt und – vor allem – wie sie landet. Manche glitten schon nach wenigen Nachbesserungen in stetem Sinkflug durch die Luft und landeten sanft. Bei anderen waren grössere Korrekturen notwendig, um zu verhindern, dass die Flugzeugnasen ein zweites Mal krachend ins Gras schlagen. Die eine oder andere Fliegernase musste nach einer solchen Bruchlandung komplett wieder hergestellt werden. Kein Problem – mitunter flogen sie anschliessend sogar besser als vorher.

Andreas Reinhard und die begleitende BBF-Lehrerin waren überall zur Stelle, halfen mit Fragen oder Hinweisen weiter. Sichtlich hatte der Erfinder sein Ziel erreicht: Alle Kinder waren mit Feuer und Flamme dabei und lernten dabei viel über das Fliegen, aber genauso viel über das Lernen selbst. Fortsetzung folgt, zwei weitere Treffen stehen in diesem Schuljahr noch aus.


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