Immenser Schaden, aber grosse Solidarität

  18.12.2024 Natur/Umwelt

Um die Mittagszeit des 26. Dezember 1999 fegte der Orkan «Lothar» über die Schweiz. Das Starkwindband knickte weitflächig Bäume wie Zündhölzer. Betroffen war auch die Korporation Baar Dorf.

MARCO MOROSOLI

Walter Andermatt, er ist aktuell Präsident der Korporation Baar Dorf, kann sich noch gut an den Stephanstag des Jahres 1999 erinnern. Als einschneidendes Ereignis bezeichnet er den an diesem Feiertag wütenden Sturm «Lothar».

Er stand an diesem Tag zu Hause an einem Fenster und sah, wie ein Gartenstuhl durch die Luft flog. Später lösten sich vom Dach des Hauses, in dem er mit seiner Familie lebte, Ziegel. In einem anderen Teil von Andermatts Sichtfeld knickten derweil Bäume wie Zündhölzer.

Damit gehörte sein Arbeitgeber, die Korporation Baar Dorf, zum grossen Kreis der Geschädigten. Ihr gehören auf dem Gemeindegebiet Baar rund 275 Hektar Wald. Die Baarer Waldeigentümer zählen im Kanton Zug zu den kleineren. Die Korporation Zug nennt 932 Hektar Wald ihr eigen. Das Unterägeri-Pendant hat 1’063 und Oberägeri 963 Hektar Wald in den Büchern und ist damit der grösste Eigner solcher Flächen im Kanton Zug.

Andermatt, damals in der Funktion des Forstchefs, hätte wohl gerne nach dem Rechten geschaut, doch die Vernunft siegte und er blieb vorerst in seinen vier Wänden. Nach dem Abklingen des Orkans, von einem solchen spricht die Meteorologie bei Windgeschwindigkeiten von rund 120 Kilometern pro Stunde, begannen die zuständigen Stellen bereits mit ihrer Arbeit. Ein Krisenstab trat in Aktion.

Eine erste Sichtung ergab immense Schäden. Wie sich Andermatt erinnert, sei er schnell an Orte gelangt, wo umgefallene Bäume das Fortkommen behinderten. Schwer nachvollziehbar war es für ihn, welche Kräfte am Werk sein mussten, damit ein ganzer, mächtiger Baum mit seiner Spitze im Boden steckte. Der Wintersturm «Lothar» hinterliess in den Schweizer Wäldern eine Schneise der Zerstörung. Zudem verloren 14 Menschen schweizweit ihr Leben. Innert kürzester Zeit fielen am besagten Stephanstag gesamtschweizerisch rund 13 Millionen Kubikmeter Schadholz an. Es war, so der heutige Korporationspräsident, allen klar, dass die Holzpreise durch dieses Sturmschadholz in den Keller sausen würden. Die Korporationen verloren dadurch einen Teil ihrer Lebensgrundlage. In dieser schwierigen Situation für die Zuger Waldeigentümer – 70 Prozent des Waldes im Kanton gehören den Korporationen – gründete der Zuger Waldwirtschaftsverband (heute Verband WaldZug) 2002 eine Geschäftsstelle. Ihr Auftrag: Das Schadholz aus den Zuger Wäldern bestmöglich am Markt zu platzieren.

Zuger Waldbesitzer spannen zusammen
Diese Solidarität unter den vom Sturm betroffenen Wald-Körperschaften, sei für alle Betroffenen wichtig gewesen. Das Schadholz aus dem Kanton Zug ging gestaffelt zum Verkauf. Im «Lothar»-Nachgang brachen, so erinnert sich der Obmann der Korporation Baar Dorf, die Holzpreise um mehr als die Hälfte ein. Gemäss der Broschüre «Der Zuger Wald», 2020 von der Direktion des Innern des Kantons Zug herausgegeben, lösten Zuger Waldbesitzer im Jahre 1970 für einen Kubikmeter Holz rund 120 Franken. Die Produktionskosten beliefen sich auf rund neun Franken pro Arbeitsstunde. Rund fünfzig Jahre später (2019) lag der Preis für einen Kubikmeter Holz bei 93 Franken. Derweil die Lohnkosten pro Stunde einen Wert von 59 Franken erreichten.

Die Korporation Baar Dorf nutzte den Parkplatz hinter der Spinnerei temporär als Nassholzlager. Dadurch mussten die Baarer ihr Holz nicht auf einen Schlag loswerden.

Wie die Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (kurz WSL) vor fünf Jahren in einer Mitteilung schrieb, warf der Sturm «Lothar» rund 12,7 Millionen Kubikmeter Holz zu Boden. Die Forschenden stellten 2019 fest, dass rund zwei Prozent aller Bäume in der Schweiz umfielen.

Viel über den Zuger Wald gelernt
Den Schaden für die Schweiz bezifferten Bundesstellen mit 1,8 Milliarden Franken. Davon entfielen auf den Wald 760 Millionen Franken und auf Gebäude rund 600 Millionen Franken. Der Rest betraf übrige Schäden (Fahrhabe, Fahrzeuge, Bahn, Infrastrukturen) innerhalb der Schweiz.

«Lothar» hat aber auch gezeigt, wie wichtig vielfältige Wälder sind und dass ein Sturm auch positive Eigenschaften mit sich bringen kann. Ein WSL-Forscher teilte 1999 mit, dass die Wälder im Mittelland artenreicher geworden seien. Zudem habe «Lothar» gezeigt, dass Monokulturen und den Örtlichkeiten nicht angepasste Wälder auf Stürme sensibler reagieren als Mischwälder.

Wichtig, so der Korporationspräsident, ist, dass seine Organisation nach «Lothar» ein neues Geschäftsfeld erschlossen hat: Sie liefert den stets nachwachsenden Rohstoff für verschiedene Holzschnitzelheizungen mit Wärmeverbünden in der Gemeinde. «Das ist nachhaltig», sagt er, «denn der Kohlendioxid-Kreislauf ist in sich geschlossen.» Wälder erfreuen nicht nur die Menschen als Ruheoasen, sondern sie binden auch Kohlendioxid. Im Weiteren dienen sie als Schutz vor Naturgefahren.

Baarer Fotograf schiesst das Foto seines Lebens
Während Andermatt 1999 zu Hause im Fensterkino die Sturmentwicklung verfolgte, kämpfte ein anderer Baarer in der Stadtzuger Katastrophenbucht mit den Kräften der Natur. Sein Name: Andreas Busslinger (67). Er ist Fotograf, mittlerweile ein sehr bekannter. Ein Bild, das er am Sturmtag knipste, trägt viel zu diesem Renommee bei.

Er hat gute Erinnerungen an diesen Tag: «Ich wollte schon immer einen Sturm fotografieren. «Vivian» zu Beginn der 1990er-Jahre habe ich verpasst.» Er habe sich auf alle Fälle den Ort gemerkt, wo ein Foto bei anderer Gelegenheit entstehen sollte.

Zu Hause bemerkte er, so der Fotograf, «wie stark der Wind wehte». Ich bat meine Frau, mich an den Zugersee zu fahren. Erste umgefallene Bäume gab es auf der Fahrt nach Zug schon. Er liess sich bis zum Seeufer fahren. Die Wogen des Zugersees waren an diesem Stephanstag hoch und weiss. Nass war er schnell, aber den perfekten Klick glaubte er lange nicht gemacht zu haben. 1999 war ein Jahr, in dem es die digitale Fotografie nicht gab. Er hatte nur drei Rollen Filme auf sich. Das bedeutete dreimal 36 Bilder. Ohne Nachkontrolle. Busslinger schaffte das perfekte Sturmfoto, das um die Welt ging. Womöglich hätte er auch ein paar Meter weiter westlich ein zweites Foto des Jahrzehnts machen können. Beim Sturm «Lothar» ging nämlich die Mole des Zuger Hafens unter.


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