Neue Leitlinien für mehr Unabhängigkeit
14.08.2024 NaturAm Bahnhof sowie in der Umgebung des Heilpädagogischen Schulund Beratungszentrums Sonnenberg wurden kürzlich umfassende Erneuerungen an den Leitlinien durchgeführt. Diese sind für sehbeeinträchtigte und blinde Menschen von grosser Bedeutung.
RAHEL HEGGLIN
«Die ursprünglichen Leitlinien waren stark abgenutzt, teilweise kaputt und unterbrochen, was die sichere Fortbewegung und Orientierung erschwerte», erklärt Claudia Friedli, Angebotsleiterin Sehen im Sonnenberg. Sie hat im vergangenen Herbst die Abteilung Verkehrstechnik der Gemeinde Baar bezüglich der Erneuerung der taktilvisuellen Leitlinien am Bahnhof Baar kontaktiert. «Die Leitlinien dienen sehbeeinträchtigten und blinden Menschen bei der Orientierung und geben Sicherheit beim Navigieren. Damit sind sie eine unverzichtbare Hilfe für ein sicheres Bewegen und tägliches unterwegs Sein im öffentlichen Raum», erklärt Friedli.
Nachtragskredit
Nachdem der Gemeinderat vor gut zwei Jahren einen entsprechenden Kredit ablehnte, fand das Anliegen dieses Mal Gehör: «Die taktil-visuellen Markierungen waren mindestens 15jährig und entsprachen nicht mehr der Norm», erklärt Leutrim Sylejmani, Projektleiter Verkehrstechnik bei der Gemeinde Baar. Weshalb man vor zwei Jahren die Erneuerung nicht in Angriff genommen hat, erklärt sich Gemeinderat Hans Küng so: «Damals war der Aus- und Umbau rund um den Bahnhof ein grosses Thema. Ich kann mir vorstellen, dass der genaue Horizont vor gut zwei Jahren noch nicht klar war und man deshalb nichts anpassen wollte, was durch den Umbau hätte an- gepasst werden können. Heute weiss man, die Umgestaltung des Areals rund um den Bahnhof wird noch ein paar Jahre dauern.»
Im Frühling wurde der Nachtragskredit in Höhe von 38’000 Franken für die Erneuerung der Leitlinien gesprochen. Darüber ist Küng froh: «Es ist richtig, einen Beitrag zu leisten, wenn man damit Betroffene unterstützen kann.» Insgesamt konnten 400 Meter vom Bahnhof bis zum Sonnenberg neu markiert werden. Diese parallelen Streifen stehen vier Millimeter über dem Strassenbelag. «Zur Entwässerung und Vermeidung von Eisflächen oder Ähnlichem wurden, wo notwendig, Unterbrüche zwischen den Streifen eingebaut» erklärt Sylejmani.
Für mehr Selbständigkeit
Im Sonnenberg gehen zwanzig sehbeeinträchtigte oder blinde Kinder im Angebot Sehen zur Schule. Für sie bedeutet der Schulweg mit den öffentlichen Verkehrsmitteln ein wichtiges Lernfeld in Richtung Selbständigkeit. Taktil-visuelle Linien machen möglich, dass sie eigenständig den richtigen Bus oder Zug finden und sicher einsteigen können. Martin Huwyler, langjähriger Musiklehrer am Sonnenberg und selbst blind, unterstreicht die Bedeutung dieses Hilfsmittels. «Es profitieren alle davon. Für sehende Personen werden Menschen auf den Leitlinien berechenbar. Und blinde und stark sehbeeinträchtigte Personen gewinnen an Selbstvertrauen und Sicherheit, da sie wissen, sie können den Weg selbständig gehen.» Dem pflichtet auch Friedli bei. «Für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ist dieser Schritt in die Selbständigkeit sehr wichtig. Sie erlangen Unabhängigkeit und stärken ihr Selbstwertgefühl.» Huwyler war während 39 Jahren am Sonnenberg tätig und wurde per 1. August pensioniert. Er hat auch die Zeiten ohne Leitlinien erlebt und kennt den Weg daher sehr gut. Dennoch orientiert er sich gerne an den taktilen Markierungen. «Ich kann sie mit dem Langstock ertasten oder auch mit den Füssen fühlen.» Bis zur Erneuerung war dies teilweise nicht mehr der Fall. Insbesondere an Stellen, wo der Boden rau und uneben ist, konnten die Leitlinien mit dem weissen Langstock nicht mehr wahrgenommen werden.
Markierungen freihalten
Neben den Leitlinien gibt es auch Aufmerksamkeitsfelder, Einsteigemarkierungen bei den Bushaltestellen und Sicherheitslinien entlang der Perron-Kante. Die Aufmerksamkeitsfelder weisen als Warnfelder auf Hindernisse und Gefahren wie Treppen hin oder führen die blinde Person im Verkehrsraum zu Überquerungsstellen wie Fussgängerstreifen oder Ampelpfosten. Wichtig ist, dass sämtliche Hilfsmarkierungen am Boden von Autofahrern und Passanten freigehalten werden. Huwyler kennt viele Situationen, bei denen die Leitlinien von parkierten Autos oder von plaudernden Menschen blockiert waren.
Fahrpläne hören
Die neuen Leitlinien wurden auch in Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen der Zugerland Verkehrsbetriebe (ZVB) geplant und umgesetzt. «Gerade beim Busbahnhof ist es wichtig, dass die Einstiegsmarkierungen sinnvoll und richtig platziert sind», so Friedli. An den Haltekanten gibt es für sehbeeinträchtige und blinde Menschen einen weiteren Zusatzdienst: Die ZVB sind dabei, die digitalen Fahrgastanzeigen auf ihrem Liniennetz zu ersetzen. Die neuen Anzeigen sind mit der Funktion «text to speak» ausgerüstet. «Seit rund zwei Monaten sind zwei dieser Fahrgastanzeigen am Bahnhof Baar in Betrieb. Einer an der Haltekante D, der andere an der Haltekante E», sagt Karin Fröhlich, Leiterin Kommunikation bei den ZVB. Damit können Fahrgäste per Knopfdruck die Abfahrtszeiten der nächsten Busse und Züge abfragen. Dass diese neuen Anzeigen gerade jetzt eingeführt wurden, ist ein Zufall. Sie sind aber, zusammen mit den neuen Leitlinien, praktische Hilfsmittel, den öffentlichen Verkehr und den Weg zur Schule eigenständig zu bewältigen.