Teilen statt Wegwerfen: Madame Frigo in Baar

  13.08.2025 Gesellschaft

Am Baarer Bahnhof steht seit Anfang Juli ein gelber Kühlschrank, der Lebensmittelverschwendung verhindern soll.

DANIELA GERER

Sommerzeit ist Ferienzeit. Doch vor der Abreise wartet noch eine lästige Aufgabe: Der Kühlschrank muss geleert werden. Viele kennen das schlechte Gefühl beim Blick auf das nicht verbrauchte Gemüse. Was die meisten nicht wissen: Am Baarer Bahnhof steht nun eine Lösung für dieses Problem parat. Der gelbe Tausch-Kühlschrank des Vereins Madame Frigo – einer von 171 in der ganzen Schweiz – soll helfen, sogenanntes Food Waste zu reduzieren.

Das Konzept ist einfach: Alle dürfen einwandfreie, überschüssige Lebensmittel hineinlegen und/oder mitnehmen. Rund um die Uhr, kostenlos und ohne Scham. Nicht alle Lebensmittel sind jedoch erlaubt. Fleisch, Fisch, Alkohol und bereits abgelaufene, geöffnete oder selbstgemachte Speisen sind tabu.

Finanziert wird der Unterhalt des Kühlschranks in Baar von der katholischen Kirche, verantwortlich als «Götti» ist Stefan Horvath vom Sozial- und Beratungsdienst der Pfarrei St. Martin. Seine Bilanz nach einem Monat: «Wir erhalten bisher positive Rückmeldungen. Oft ist der Kühlschrank sehr voll, dann gleich wieder ganz leer. Und das alles ohne grosse Werbung.» Eine Stichprobe zur Mittagszeit bestätigt diese Aussage: Innerhalb einer Stunde nutzten etwa zehn Personen den Kühlschrank. Das Sortiment reichte von Rhabarber, Fenchel und Mangold über Brotlaibe und Kaffeepads bis hin zu Joghurts und sogar Avocados; manche brachten etwas, viele nahmen mit.

Hinter dem simplen Tauschkonzept steckt eine effiziente Organisation. Madame-Frigo-Kühlschränke müssen vom Kantonschemiker bewilligt werden und unterstehen dem Lebensmittelgesetz. Horvath führt daher eine Hygieneliste und kontrolliert den Kühlschrank drei- bis fünfmal pro Woche nach Inhalt und Temperatur. «Wir können immer mal wieder vorbeischauen, da unser Büro um die Ecke liegt» erklärt er.

Nicht überall klappt es so gut
Dass es auch schlechter laufen kann, zeigen Beispiele aus der Region. In der Stadt Zug scheiterte das Aufstellen eines Gemeinschaftskühlschranks an mangelnden «Göttis». In Oberägeri musste das Projekt nach wenigen Monaten aufgrund fehlender Spenden beendet werden. In Baar wird das Projekt von einem starken Netzwerk aus Freiwilligen getragen, das beispielsweise Ferienablösungen ermöglicht. Vereine wie Foodsharing Zug stellen gerettete Lebensmittel aus Betrieben wie Bäckereien oder Supermärkten zur Verfügung.

Prinzipiell handelt es sich jedoch bei der Idee des Vereins Madame Frigo um ein Gemeinschaftsprojekt von und für die Bevölkerung. Jasmin Schmuki, Vorstandsmitglied von Foodsharing Zug, sieht da noch Potenzial beim verantwortlichen Umgang: «Damit das System für alle funktioniert, sollte immer auf Sauberkeit, Haltbarkeit und Fairness geachtet werden», betont sie.

Auch bei der Kooperation mit der Privatwirtschaft sei noch Luft nach oben. Horvath teilt diese Einschätzung und lädt die Geschäfte rund um den Bahnhof zur Zusammenarbeit ein. Angesichts der ernüchternden Verschwendungszahlen zähle jeder Beitrag.

Food Waste als wachsendes Problem
Pro Person landen laut WWF Schweiz jährlich Lebensmittel im Wert von etwa 620 Franken im Abfall. Hinzu kommt der Umweltaspekt. Food Waste belastet gemäss Bundesamt für Umwelt das Klima ungefähr so stark wie die Hälfte der Emissionen aller Autos im Land. Haushalte seien für etwa ein Drittel dieser Verschwendung verantwortlich. Lange galt Food Waste als Randthema, doch inzwischen scheint sich etwas in der Schweizer Gesellschaft zu bewegen. So wiegen dieses Jahr unter anderem im Kanton Zug einige Jugend-Sommerlager im Rahmen der «Restlos Geniessen Challenge» regelmässig ihre Essensabfälle. Das Lager mit den geringsten Resten gewinnt am Ende einen Preis der Organisatoren, einem Zusammenschluss der wichtigsten Food- Waste-Vereine der Region.

Auch die Bundespolitik hat Food Waste als Problem erkannt. Aktuell lautet das offizielle Ziel, die Schweizer Lebensmittelverschwendung bis 2030 zu halbieren. Die Umsetzungsstrategie der Regierung beruht bisher ausschliesslich auf freiwilligen Massnahmen, und damit auf Projekten wie dem Kühlschrank in Baar. Doch 2025 wird der Bundesrat entscheiden müssen, ob das Engagement der Bevölkerung ausreicht oder ob es gesetzlichen Drucks bedarf.

Optimistischer Blick in die Zukunft
In Baar scheinen die Vorzeichen zu stimmen. Horvath blickt zuversichtlich in die Zukunft: «Jeder muss für sich selbst entscheiden, ob er den Kühlschrank nutzen möchte. Aber es ist natürlich sinnvoll, wenn man bei der Gartenernte etwas übrig hat, das dann vorbeizubringen, anstatt es wegzuschmeissen.» Der erste Monat Madame Frigo in Baar hat gezeigt: Wohlstand ist teilbar, auch ganz ohne gesetzgeberische Zwangsmassnahmen.


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