Turnen und Akrobatik auf dem fahrenden Rad
06.11.2024 Gesellschaft, SportSie gehört zur Weltspitze im Kunstrad, sie steckt im Studium zur Primarlehrerin. Die Baarerin Alessa Hotz verfolgt ihre Ziele mit Freude und Hartnäckigkeit.
FRANZ LUSTENBERGER
Die Enttäuschung ist noch immer da. Nach zwei Bronzeplätzen visierte die junge Sportlerin eine weitere Medaille an der WM 2024 in Bremen an. Sie gewann die Qualifikation, was seit langem keiner Schweizerin mehr gelungen war. Entsprechend dann auch die Erwartungen für den Finaldurchgang, der dann nicht mehr so perfekt gelang. Es resultierte der undankbarste Platz, nämlich der Vierte: «Ich habe zum falschen Zeitpunkt meine Bestleistung gemacht. Natürlich bin ich enttäuscht.» Der Grat zwischen Jubel und Enttäuschung an der Weltspitze ist sehr schmal. Bei der Sprinterin Mujinga Kambundji – um ein Beispiel aus der Leichtathletik zu nennen – sind es rund elf Sekunden. Im Kunstrad sind es exakt fünf Minuten, während denen 30 Übungen, in der Fachsprache «Bilder», zentimetergenau auf dem Parkett ausgefahren werden müssen. Dazu zählen statische Stände auf dem Lenker oder dem Sattel, Pirouetten auf dem Hinterrad oder turnerische Elemente wie Hand- oder Kopfstand. Seit neustem baut Hotz auch den Sattellenkerhandstand in ihre Kür ein. Also – eine Hand am Lenker, die andere am Sattel und das Ganze im Handstand während einer vollen Runde auf dem Parkett.
Das Kunstrad ist Teil der Familie Hotz
Mit sechs Jahren ist Hotz erstmals auf ein Kunstrad gestiegen, ihre Motivation: «Ich habe die Pokale meiner älteren Schwester Leana lässig gefunden, das wollte ich auch erreichen.» Die Leidenschaft für diese Sportart war geweckt und seither ungebrochen. Im Baarer Heimatbuch bringt sie es auf den Punkt: «Einmal Kunstrad, immer Kunstrad.» Einbezogen und engagiert ist die ganze Familie. Alessa und ihre Schwestern werden tatkräftig unterstützt; es sind unzählige Stunden, welche die Familie für Trainings und Wettkämpfe im In- und Ausland aufwendet. Das «Fanen» am Wettkampf ist dann nur der kurze Höhepunkt eines langjährigen Engagements.
Hinter den Spitzenvorführungen stecken Stunden, Wochen und Jahre intensivster Arbeit. Akrobatik, Kraft, Beweglichkeit, Ausdauer und mentale Stärke – alle diese Faktoren bilden die Grundlagen für’s Kunstradfahren. Gerade das Mentaltraining ist wichtig. «Da werden wir auch die WM in Bremen nochmals besprechen.» Zentral für die Erfolge sind auch die Baarer Trainerinnen Rahel Utiger und Corina Kümin: «Ihrem Vertrauen in mich und ihrem Einsatz habe ich sehr viele Erfolge zu verdanken.» Es sind dies neben den Medaillen an Europa- und Weltmeisterschaften sieben Schweizer Meistertitel auf Schüler-, Junioren- und Elitestufe.
Die Verletzungshexe hat im Sommer zugeschlagen
Die junge Sportlerin steht drei bis viermal wöchentlich in der Halle auf dem Rad. Dazu kommen Konditions- und Krafttrainings, Zusammenzüge mit dem Nationalkader und das Mentaltraining. Üben und nochmals üben, tausendmal das gleiche «Bildli» wie etwa der schwierige Sattellenkerstand. Stürze gehören unweigerlich dazu; ein paar blaue Flecken sind unvermeidlich. Bis zu diesem Sommer blieb Hotz von grösseren Verletzungen verschont, als der Arzt nach einem Trainingssturz einen Fussbruch diagnostizierte. Es fehlten acht Wochen intensiven Trainings im Hinblick auf diese Weltmeisterschaften von Ende Oktober.
Ausbildung zur Primarlehrerin
Nicht nur der Sport fordert von Hotz alles, auch Beruf und jetzt Studium sind sehr intensiv. Nach der KV-Lehre und der Berufsmaturität studiert sie derzeit an der PH Zug, mit dem Ziel Primarlehrerin. Für die PH ist die Kunstradfahrerin ein Beispiel für die erfolgreiche Verbindung von Schule und Sport (siehe Text «Unterstützung der PH Zug).
Fernziel 2027 in Frankreich
Zurück zum Sport: Alle vier Jahre findet die Kunstrad-WM zusammen mit allen anderen Radsportarten gleichzeitig am gleichen Ort statt; das nächste Mal 2027 in Frankreich.
Auf diesen Höhepunkt arbeitet die 22-jährige langfristig hin: «Ich muss in den nächsten Monaten noch mehr Höchstschwierigkeiten, etwa den Mautesprung in meine Kür einbauen.» Nur zur Information, aber nicht zur Nachahmung empfohlen – das ist der Sprung vom Sattel auf den Lenker. Und das bei rollendem Rad.
Unterstützung der PH Zug
Die Pädagogische Hochschule Zug bietet ihren Spitzensportlerinnen und Spitzensportlern die Möglichkeit, ihre Sportkarriere neben dem Studium weiterzuverfolgen. Die Studentinnen und Studenten erhalten den «Status Spitzensport», wenn sie die entsprechenden Voraussetzungen erfüllen. Diese sind etwa Zugehörigkeit zu nationalen Kadern oder Finalplatzierungen an internationalen Meisterschaften. In der Person von Simon Bieli, Studiengangleiter Primar, steht eine Ansprechperson zur Verfügung. Gemeinsam wird eine Grobplanung für den Studienverlauf vorgenommen, diese wird jeweils semesterweise aktualisiert. Die PH sieht verschiedene Erleichterungen im Studienverlauf vor. So sind Abweichungen von den Präsenzregeln der PH möglich, oder die Studiendauer kann flexibel bis maximal 12 Semester verlängert werden. Auf der anderen Seite findet die PH Zug als Partner auf der Homepage der Sportlerin Erwähnung. Neben Alessa Hotz werden bei der PH Zug folgende aktuelle und bisherige Studierende aufgeführt: Elias Bürge (Unihockey), Sibylle Scherer (Handball) und Marcel Bieri (Schwingen).