Ein angenehm unangenehmer Abend voller Verwirrungen
05.11.2025 Musik/KulturIn seinem zweiten Bühnenprogramm lotete der Kabarettist Christof Wolfisberg vorletzten Donnerstag die Grenze zwischen Realität und Traum aus. In der ersten Hälfte brauchte er dafür nicht einmal eine Bühne.
LUKAS SCHÄRER
Christof Wolfisbergs Programm «Halbtraum» startete wortwörtlich unangenehm. «Unangenehm» war das erste Wort von Wolfisberg, und leicht unangenehm war auch die Situation fürs Publikum. Wolfisberg stand nicht auf der Bühne der Rathus- Schüür, sondern mitten unter den Zuschauenden und konfrontierte sie mit seiner Präsenz. Dennoch ging es nicht darum, Menschen blosszustellen, so Wolfisberg: «Mir ist wichtig, dass es nie übergriffig ist und es fürs Publikum nicht zu unangenehm ist. Ich habe mich auch rückversichert, dass es dies nicht ist. Ich habe Menschen gerne und stelle sie nicht bloss.» Dennoch hoffte wohl fast jeder und jede, von Wolfisberg nicht bemerkt zu werden.
Im Traum war die Cello-Lehrerin begreifbar
«Halbtraum» ist ein Stück auf mehreren Ebenen. Es ist ein Nebeneinander von Realität, Fiktion und Trauma. Die Rahmenhandlung war die Rückreise vom Familienurlaub in Italien zurück zur Beerdigung vom Grosi. Im Jaguar waren nicht nur zwei pubertierende Söhne, sondern auch eine chinesische Reisegruppe mit Fondue-Hunger. Bereits hier schimmerte der «Halbtraum» durch, denn die Realität war nicht mehr eindeutig vom Traum zu trennen. Die Grenzen verschmierten zusehends, und Wolfisberg reiste schliesslich zurück zum Embryo.
Mit dem Voranschreiten des Stückes kam Wolfisberg allmählich auf die Bühne, die zuvor nur ein Cello als Requisite enthielt. Dieses symbolisierte das erotische Schwärmen von Cello-Lehrerin Frau Siegenthaler. Im Traum war die idealisierte Frau auf einmal begreifbar.
Auf einmal war man zurückgeschleudert in die Fahrschule, wo ein unangenehmer Fahrlehrer seinen Schikane-Fetisch ausleben konnte. Ein psychedelischer Baum suchte nur eine Umarmung, und die französische Polizei zeigte sich bei einer Kontrolle gutmütig. Der absurde Ex-Fussballer Alain Suter versuchte, einen Temu-Sarg zu verschachern, während die Angst vor der Vortragsübung immer beklemmender wurde. Der Fall aus der Rolle und Meta-Scherze sorgten für wohlige Verwirrung.
Schlaf ist der Bruder des Todes
Rahmenhandlung und Albträume waren zwar fiktiv, doch basieren sie auf tatsächlichen Erfahrungen Wolfisbergs. «Ich spiele aber kein Cello und habe auch kein Cello-Trauma. Aber ich habe einmal bei einer Vortragsübung etwas erlebt, was für mich schwierig war. Im Programm können sich fast alle andocken. Viele kennen ja Vortragsübungen.» Wolfisberg ist sonst Teil des Kabarett-Duos «Ohne Rolf», doch der Solo-Auftritt ist für ihn kein halber Albtraum. Und es ist für ihn auch nicht unangenehm, so nahe beim Publikum zu sein. «Ich sprenge gerne den Rahmen. Ich komme ursprünglich von der Zauberkunst. Dort holt man viele Leute auf die Bühne. Jetzt aber wollte ich noch weiter zu den Zuschauern gehen.» In der griechischen Mythologie sind Hypnos, der Schlaf, und Thanatos, der Tod, Brüder. Es gibt Menschen, die das Leben als Vorbereitung auf den Tod sehen. Wolfisberg: «Ich finde diese Metamorphosen, diese Übergänge in andere Bewusstseinszustände sehr interessant. Es ist verrückt, dass wir ein Drittel unseres Lebens verschlafen. Ich finde das so faszinierend. Mich interessiert Wachträumen, dieses luzide Träumen.»
Abnabelungen von sprechenden Plazenten sind immer schwierig und können mit Fruchtwasser-Floating enden. Ein Telefonat mit sich selbst führte zum Rückzug ins Publikum und «Halbtraum» endete so, wie es begonnen hat. Und mit überschwänglichem Applaus.



