Er provoziert: Leben finde ich megageil!

  21.05.2025 Musik/Kultur

Der Kabarettist Renato Kaiser führte am Mittwoch, 15. Mai mit seinem provokativen Bühnenprogramm «Neu» in der vor, wie man politische Gräben mit scharfzüngigem Humor überwinden kann.

DANIELA GERER

An diesem satirischen Abend, der viele kontroverse gesellschaftspolitische Themen tangierte, hätte man aufgrund des nicht abebbenden Lachens und begeisterten Applauses meinen können, man befinde sich in ausgesprochen linksliberaler Gesellschaft. Zu Beginn wärmte Kaiser das Publikum noch unverfänglich mit Betrachtungen zum Leben und zur Unsterblichkeit auf: «Leben finde ich megageil, 10 von 10. Ich würde es ewig machen.» Auf die verhaltene Reaktion des Publikums hin führte der Kabarettist aus: «In der Deutschschweiz reagiert man ja eher ablehnend auf die theoretische Möglichkeit, länger als nötig zu leben; was ist mit der 3. Säule?» Überhaupt sei man in der Schweiz risikoscheu. Sei jemand mit einem riskanten Plan gescheitert, dann freue man sich: «Schau den mal an, zum Glück habe ich nie etwas versucht.» Was folgte, war ein Rundumschlag gegen die sogenannte Mitte der Schweizer Gesellschaft, die sich vor allem durch drei Eigenschaften auszeichne: risikoavers, denkfaul und bequem.

Gendergerechtigkeit, Dragqueen-Lesungen, Abtreibungsrecht
All die polarisierenden Zeitgeist-Themen erhielten Aufmerksamkeit vom preisgekrönten Stand-Up-Comedian. Und obgleich sich dieser ein ums andere Mal eindeutig auf die progressive Seite schlug, war das Baarer Publikum bald schon ganz ausser sich vor lauter Freude an den gelungenen Pointen und Wortspielen. So karikierte Kaiser zum Beispiel die verbreitete konservative Haltung zur Geschlechterdebatte prägnant auf folgende Weise: «In der Schweiz gibt es drei Geschlechter: weiblich, männlich und fertig.»

Die Frage, ob Kaiser am Ende nur zu überzeugten Progressiven sprach oder tatsächlich konservative Geister erreichte, blieb der Elefant im Raum. Möglicherweise ist seine Person bekannt genug, um vorwiegend Gleichgesinnte anzuziehen. Vielleicht liegt die Erklärung aber auch in der Kernfunktion des politischen Kabaretts: gesellschaftliche Kritik im geschützten Raum in verdauliche Happen zu verpacken, die auch jene schlucken können, die sie eigentlich ablehnen würden. Der Humor und die Pointen waren jedenfalls hochkarätig. Selbst bei unbequemen Themen gab es viel zu Lachen. Etwa zur erwähnten konfliktscheuen Einstellung der Schweizerinnen und Schweizer: «Bei Dragqueen-Lesungen sagen wir: ‹lieber nicht›, das regt die Nazis nur auf.» Welche der folgenden Aussagen sei uns aber unwohler, fragte Kaiser daraufhin rhetorisch, ‹Ich bin keine Frau, ich verkleide mich nur so› oder ‹ich bin kein Nazi, ich habe nur die gleiche Meinung wie einer.›»

Was Klimaaktivisten mit dem Paradies zu tun haben
Besonders gut beim Publikum kamen Anekdoten mit lokalem Bezug an. So kontrastierte Kaiser die heuchlerische Empörung über die sogenannten Klimakleber-Aktivisten vor dem Gotthard-Tunnel mit der sonstigen Akzeptanz des regulären Ferienstaus, den er als «individuelle Leidensentscheidung» entlarvte. «Warten auf das Paradies ist wie vor dem Gotthardtunnel stehen – die langsamste Pilgerreise der Welt.» Diese geniale Verknüpfung von katholischer Heilserwartung mit schweizerischem Verkehrsleid sorgte für erkennendes Gelächter.

Eine weitere Stärke Kaisers: Er predigte nicht, sondern nahm sich auch selbst aufs Korn. Seine vegane Überzeugung verpackte er in helvetische Selbstironie: «Ich bin Veganer und Schweizer, was heisst: ich versuche möglichst nicht aufzufallen.» Dennoch erhielten die «Fleischesser» ihr Fett weg: «Woran erkennt man einen Veganer? Er sagt es dir ungefragt. Woran erkennt man einen Fleischesser? Er erzählt dir diesen Witz ungefragt.»

Zu guter Letzt hatte der Kabarettist dann noch eine versöhnliche Metapher im Angebot: «Wir erneuern uns über unsere Zellen alle sieben Jahre komplett», was den Programmtitel «Neu» in einen tieferen Kontext rückte. Dann schlug er den Bogen zu seinen anfänglichen lebensbejahenden Beobachtungen: «Unser kleinster gemeinsamer Nenner ist der grösste gemeinsame Teiler: Zellteilung. Einfach so am Leben. Als wär’s nix. Dabei ist es alles.» Ein einfacher und versöhnlicher Schluss nach teilweise stark polarisierendem Mittelteil.

Der anhaltende Applaus in der fast ausverkauften Rathus-Schüür verdeutlichte das Paradox des politischen Kabaretts: gemeinsames Lachen kann für einen Abend kulturellen Konsens herstellen. Ob daraus ein nachhaltiger Dialog entsteht, entscheidet sich erst, wenn das Saallicht wieder angeht.


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote