Grenzen verschieben – Ultracycling quer durch die USA
09.10.2024 WirtschaftEine ganz spannende Person hatte der Gemeinderat als Referentin beim September-Unternehmerfrühstück eingeladen. Isa Pulver ist Ultracyclistin und hat zweimal die Race Across America gewonnen.
ERNST BÜRGE
Doch was ist das überhaupt: «Ultracyclistin» und «Race Across America»? Gemeinderat Mark Gustafson gab bei seiner Begrüssung der sehr zahlreich erschienenen Baarer Unternehmer und Gewerbetreibenden eine erste Antwort. Bei dieser Sportart sind Langstrecken mit dem Rennrad in möglichst kurzer Zeit zurückzulegen. Isa Pulver (53) konnte an mehreren Europa- und Weltmeisterschaften grosse Erfolge erzielen. Sie erzählte nun den Anwesenden von ihrer Teilnahme am Race Across America im Jahre 2023.
Ein Rennen, das grosse Ausdauerkraft verlangt
Die 4’900 Kilometer lange Strecke mit 52’000 Höhenmetern von der Westküste Amerikas durch zwölf Bundesstaaten und vier Zeitzonen hat Pulver in der sagenhaften Zeit von 9 Tagen, 11 Stunden und 6 Minuten zurückgelegt. Gestartet im kalifornischen Oceanside, hat sie als erste aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer das Ziel in Annapolis (Maryland) erreicht und konnte nach 2015 zum zweiten Mal die Siegestrophäe entgegennehmen.
Die Physiotherapeutin verglich das Rennen am ehesten mit der Tour de France. Doch sei die Strecke doppelt so lang und in nur einer Etappe zurückzulegen. Ruhetage gebe es keine. Um überhaupt dabeisein zu können, sei die Vorbereitung äusserst wichtig. Zudem ist ein Begleittross obligatorisch. Ihre Crew umfasste neun Personen: Coach, Teamchef, Physiotherapeut, Mechaniker und gute Autofahrer für FollowCar und Wohnmobile. Bis zum Start war sie die Chefin, doch dann fühlte sie sich eher als Lehrling.
Und los ging’s
Eher nervös beim Start, musste sie die ersten 38 Kilometer alleine zurücklegen, Pannen hätte sie da selber beheben müssen. Mit Musik gerne unterwegs, hörte sie oftmals Songs von Trauffer. Gestartet in der Nacht, war der erste Sonnenaufgang bewegend. Weiter ging’s oft auch durch grosse Hitze mit Temperaturen bis über 45 Grad Celsius. Das Auf und Ab bei grossen Höhendifferenzen beanspruchte den ganzen Körper, besonders auch Herz und Lunge. Wenn sie auch oftmals an Grenzen kam, erlebte sie einmalige Momente und wusste: «Die ganze Welt gehört nur dir!»
Isa Pulver fuhr längere Strecken am Stück, zum Ausruhen und Schlafen legte sie sich für zwei Stunden in den Wohnwagen, und schon pedalte sie wieder weiter. Ihre Crew wechselte sich alle acht bis zehn Stunden bei der Begleitung ab und unterstützte sie in allen Bereichen, bereitete die Nahrung zu, besorgte Musik, navigierte die Strecke, achtete auf Ruhepausen, den Fahrplan und vieles mehr. Das Team wusch die Bidons hygienisch aus, kaufte ein und besorgte auch die Wäsche. Laufend wurden auch die Analysen festgehalten, stimmen Soll und Ist? Für Pulver war die Crew im FollowCar die Lebensversicherung. Sie meinte dazu: «Der einfachste Job ist das Velofahren.» Für die letzten 1’000 Meilen galt zudem ein ungeschriebenes Gesetz: «Das Ziel muss erreicht werden.»
Motivatorinnen und Motivatoren am Strassenrand
Diese halfen sehr, eine gute Stimmung aufrechtzuerhalten, es gab Fans, die mehrmals die Fahrerin überholten, um an nächster Stelle wieder zu rufen und zu winken. Und wenn ihr die Begleiter wieder Whats-App-Nachrichten vorlesen konnten, gab auch dies wieder einen neuen Kick und half gegen die Müdigkeit. Da half Zähneputzen, das ABC-Spiel von Radio SRF3, Essen und auch Singen. Beim Fahren verbrannte sie pro Stunde rund 500 kcal, da war die Ernährung (neun Tage alles nur flüssig!) mit Drinks, Gels, Ovomaltine, Joghurt und Philadelphia-Käse unentbehrlich. Besonders fein schmeckte zwischendurch ein Glacé! Auch Rituale gehörten zur Tour, das Fussbad vor dem Schlafengehen, Musik beim Erwachen und ein kollektiver Ruf beim Losfahren nach der Schlafpause. Während dieser Zeit besorgte die Crew den Veloservice und füllte im FollowCar wieder alles Material auf. Ein Power Nap von wenigen Minuten im Freien oder allenfalls im Wagen gab wieder neue Energie zum Weiterfahren.
Riesengross dann die Freude bei der Ankunft vor allen weiteren Fahrern am Ziel, und dies erst noch mit einer Superzeit. Pulver erreichte die drittschnellste Zeit der Damen überhaupt!
Kurz erwähnte sie noch das Highlight des laufenden Jahres: Am Race around Poland, der WUCA Ultra Cycling WM, wurde sie nach einer Fahrt über 3’606 Kilometer mit 30’000 Meter Höhendifferenz in 6 Tagen 21 Stunden 29 Minten und 14 Sekunden zur Weltmeisterin 2024 erkoren.
Auf die abschliessenden Fragen, weshalb sie diesen Sport ausübe, meinte Pulver: «Ich muss wegen dem Ziel weiterfahren, ich will Grenzen erfahren und Hilfe annehmen können.» Grenzerfahrung sei für ihren Beruf wichtig, wenn sie bei der Physiotherapie mit Rollstuhlpatienten arbeite, die selber vielmals an eigene Grenzen stossen.
Mit grossem Applaus bedankten sich die sichtlich beindruckten Baarer Unternehmerinnen und Unternehmer für diese Ausführungen über eine ganz besondere Sportart, die von allen alles abfordert.