Heiraten während der Eisschmelze
06.11.2024 Musik/KulturDominik Muheim beschäftigt sich in seinem aktuellen Programm mit zwischenmenschlichen Beziehungen und anderen Krisen. Dies ist stark autobiografisch geprägt und konnte bereits ein schöngeistiges Zuchttier überzeugen.
LUKAS SCHÄRER
Dass Dominik Muheim eine kleine Kabarett-Sensation ist, ist auch in Baar angekommen. Und so war die Rathus-Schüür vorletzten Donnerstag so gut wie ausverkauft. So war es logisch, dass das Eis zwischen Künstler und Publikum sofort schmolz, als Muheim sein Programm «Soft Ice» startete und nach wenigen Sekunden den ersten Lacher verbuchen konnte. Der Zustand der Welt ist ernst – nicht nur in der Realität, sondern auch in Muheims Programm. Der Weltuntergang war noch nie so nah, die Erde brennt, das Klima kollabiert. Und mitten drin ist Muheim, der so unglaublich sympathisch ist und in «Soft Ice» sehr viel Autobiografisches verarbeitet. Die Clique, bestehend aus der rebellischen Lina, dem nörgelnden Naveen und Muheim selber, ist aus dem Häuschen, da Lina aus heiterem Himmel heiraten möchte. Ihre beiden besten Freunde sollen natürlich bei der Hochzeitsfeier mithelfen. Muheim ist urkomisch, macht jedoch kein Krawall-Kabarett und braucht keinen Sauglattismus oder Verletzendes, um zu unterhalten. Dafür ist das Tempo hoch wie der beschleunigte Untergang der Welt.
Der erste Mann im Mond war ein Berner
Muheim verarbeitet in «Soft Ice» so viel Autobiografisches, dass es ihm bei der Premiere unwohl war, weil die Protagonisten im Publikum waren: «Es ist extrem viel Wahres dabei. Lina ist eine Zusammensetzung zweier realer Personen. Andere sind eins zu eins so wie im Programm. Ich wusste nicht, ob dies für die Betroffenen auch ok ist. Nach der Premiere meinten sie, ich soll es ruhig so erzählen, wie es auch war.» Muheim ist nicht verheiratet, und mittlerweile ist die Vorstellung davon gar nicht mehr so weit weg: «Meine Generation ist ja eher so, dass sie sagt, sie heirate nie. Wir machen es anders, auch wenn es das natürlich schon früher gab. Wir kaufen auch nie ein Haus, doch jetzt, da ich um die 30 bin, geschieht dies doch an allen Ecken. Das beschäftigt mich natürlich, und darum habe ich versucht, dies in meinem Programm aufzunehmen.» Auch eine weitere reale Person hat es ins «Soft Ice» geschafft, und zwar der konservative Zürcher Hau-drauf-Politiker und Medien-Anarchist Roger Köppel. Muheim verwendete Originalaussagen des Polit-Polteris, die im Zusammenhang unglaublich absurd klangen. Man erfuhr zudem, wie verbindend die Beerdigung einer Wanze sein kann und dass der erste Mann im Mond ein Berner war, und zwar der «Hau Iseli». Die Ehe sei eine Schutzinstitution für hilflose Männer. Linas Zukünftiger ist ein Sozialstreber, der alles kann, der Archetyp eines Gutmenschen, der seiner Umwelt mit seiner Makellosigkeit auf die Nerven geht.
Der Optimismus zeigte sich als flauschiges Tierchen
Bei all den Krisen kann der Mensch Muheim seinen unverbesserlichen Optimismus bewahren: «Ich glaube an das Gute im Menschen und es ist wichtig, dass man diesen Optimismus behalten kann. Andererseits gibt es auch einen Pessimisten in mir, der den Optimisten verspottet. Logisch kannst du ein Optimist sein, wenn du in der Schweiz wohnst und es so gut hast. Ich hoffe schwer, dass wir aus diesen Krisen herauskommen, aber es ist sehr schwer, optimistisch zu bleiben.» Das dringendste Problem sind für ihn der Klimawandel und die deshalb schmelzenden Polkappen.
Muheim selber schmolz fast vor Stolz dieses Jahr, als er ohne Vorwarnzeit den renommierten Kabarett- Preis Salzburger Stier verliehen bekam: «Natürlich hat man diesen Preis auf dem Schirm und denkt, es wäre schon geil. Aber man rechnet nicht damit. Man kriegt eines Tages einen Anruf und erfährt, dass man den Stier gewonnen hat. Es war so absurd, hat aber sehr viel Publikum und Engagements gebracht. Das ist sehr schön.»
An der Hochzeit offenbarten sich die Tücken einer Soft-Ice-Maschine, der Metapher für ein leichtes Leben. Der Optimismus zeigte sich als flauschiges Tierchen und Muheims Hochzeitsrede wurde zum Desaster. Das Tempo wurde immer höher und auch die Party eskalierte bis zum Stromausfall. Dennoch fand «Soft Ice» ein versöhnliches Ende. Man soll ja auch nicht deprimiert aus einem Kabarett-Programm nach Hause gehen.
Salzburger Stier
Der Salzburger Stier ist ein Kleinkunstpreis im deutschsprachigen Raum. Er wird jedes Jahr an Kulturschaffende aus der Schweiz, Deutschland und Österreich verliehen. Veranstaltet wird er von Rundfunkanstalten, darunter auch SRF2. Bekannte Schweizer Preisträger sind Lorenz Keiser, Linard Bardill, Acapickels und Ursus & Nadeschkin. Emil Steinberger und Franz Hohler wurden für ihr Lebenswerk ausgezeichnet.