Literaturgenuss bei Sonnenuntergang
10.09.2025 Musik/KulturBereits zum zweiten Mal luden die Bibliotheken Aegerital, Baar, Cham, Menzingen, Steinhausen, Risch-Rotkreuz, Walchwil und Zug sowie das Gymnasium Immensee zu einer abendlichen Zugersee-Schifffahrt mit dem Literaturschiff.
ERNST BÜRGE
Irene Weibel, Leiterin der Bibliothek Baar, begrüsste die Gäste auf der voll besetzten MS Zug. Besonderen Gruss richtete sie an die beiden Autoren Dörte Hansen und Pedro Lenz, sowie an die Moderatorin Luzia Stettler, langjährige Literaturredaktorin von Radio SRF. Im einleitenden Gespräch mit Beiden fragte diese, ob Autoren Menschenfreunde oder Menschenfeinde seien. Lenz anwortete, und Hansen stimmte zu: «Ich bin mit allen freundlich, auch mit denen, die schwierig sind.» Weder die deutsche Schriftstellerin Hansen noch der Schweizer Dichter Lenz haben Deutsch als Muttersprache. Sie wuchs oben in Nordfriesland mit Plattdeutsch auf, und der gebürtige Berner sprach «Schwizerdütsch». Die Schriftsprache mussten beide mit Schulbeginn erst lernen. Hansen studierte auch Frisistik, wo sie sich mit den verschiedenen friesischen Sprachen befasste.
Zur See
Im kurzen Interview gab Hansen bereitwillig auf einige Fragen Antwort. Sie sei das erste Mal in der Schweiz. Nach gestern Abend in St. Gallen hat sie in den nächsten zwei Wochen insgesamt acht Lesungen im Land. Ihre Büchern schreibt sie in Deutsch und verzichtet auf ihre eigene Sprache. Ihre Bücher wurden zum Teil auch verfilmt, wobei sie beim ersten Roman «Altes Land» keine Mitsprache hatte. Beim Buch «Mittagsstunde» arbeitete sie am Kinofilm mit und hat diesen in besserer Erinnerung als den ersten. Der Einstieg in ein neues Werk beginnt stets mit Fragen, vor allem auch zu den Veränderungen am Ort seit ihrer Jugend.
Sehr passend zum Platz auf dem Zugersee stellte Hansen ihr Buch «Zur See» vor. Wobei mit diesem Titel vor allem das Meer gemeint ist. Bei Binnengewässern ist man ja wie heute «auf dem See». Der Roman handelt von einer Kapitänsfamilie, die auf einer Nordseeinsel lebt. Der ehemalige Kapitän zur See führt nunmehr die Inselfähre in einer Stunde vom Festland zur Insel und zurück und sinnt alten Zeiten nach. Diese spielen auch sonst mit, eher in gleichförmig rhythmisierten Sätzen geschrieben. Der gedichtartige Charakter kam bei der Lesung durch das Hören sehr gut zur Geltung. Beim Schreiben hatte Hansen einen bestimmten Ton im Ohr, und dies brauchte beim Verfassen auch viel Zeit. So leuchtete sie tief in die Seelen der handelnden Personen. Sie hatte das Buch mit grosser Liebe zur See geschrieben, obwohl sie keiner Seefahrerfamilie entstammt. Dennoch konnte sie viel von sich einbringen. Mit grossem Applaus dankten alle für diese einfühlsamen Texte.
Zwischengespräche
Die Pause gab Gelegenheit zu manchen Begegnungen. Roberto und Marianne Steiner aus Baar waren das erste Mal auf dem Literaturschiff. Sie interessierten sich vor allem für Pedro Lenz und seine Dialektbücher. Dazu genossen sie die Sonnenuntergangsatmosphäre hier auf dem Schiff. Da sie ihre Ferien heuer in Deutschlands Norden verbracht hatten, kam ihnen die Stimmung von Sand und Meer wieder gut in den Sinn.
Irene Weibel ist Mitglied der Projektgruppe Literaturschiff, der die erwähnten Organisationen angehören. «Wir sind eine Supergruppe und der Erfolg zeigt sich durch das grosse Publikum.» Der Anlass war zum zweiten Mal ausverkauft, dieses Mal sogar schon am ersten Tag der Anmeldefrist. Sie freut sich bereits auf das nächste Literaturschiff.
Zärtlechi Zunge
Pedro Lenz kam vor allem über Zusammenarbeit mit Musikern zu seinen Werken. Es sind für ihn rhythmische Bühnentexte. Dies kam in der heutigen Lesung besonders gut zum Ausdruck. In seine Werke bindet er viele aufgeschnappte Sätze ein. So hört er im Zug von Telefonaten Mitreisender halbe Texte und malt sich den Rest selber aus. Zug ist ihm gut bekannt, durch den Schriftsteller Thomas Hürlimann, durch den Burgbachkeller wie auch durch Mitwirken bei zeitgenössischer Volksmusik im Theater Casino Zug. Bei der Bibliothek Baar hielt er eine Online-Lesung während der Corona-Zeit. Sein nächstes Werk ist ein Bühnenstück mit argentinischer Musik über Diego Maradona. Damit geht er nächstes Jahr auf Tournee.
Lenz sagt von sich: «Ich bin ein Sprachenfan. Mit Mundart kann man spielen. Nach anfänglicher Zurückhaltung mit Dialektbüchern hat er doch dazu gefunden. So hat er beim hier vorgestellten Buch «Zärtlechi Zunge» mit einem Pianisten zusammengearbeitet. Die songmässigen Geschichten und Gedichte in Berndeutsch erzählen kleine Geschehnisse in amüsanter Sprache. Bei grossem Spass im Schiffsalon erzählte er über Spielplatzgespräche, über Nachrufe auf Vorrat und auch über das Vergessen, wobei der erste Kuss noch immer in bester Erinnerung blieb. Bei einer Geschichte über seinen mittleren Buben, der nicht gerne laufen wollte, meinte dieser nach Anhören der ersten Zeilen bereits: «Tue das lösche!» Auch was Marianne bei ihrem 100-Kilometer-Lauf in Biel alles durch den Kopf geht, war einen weiteren Beitrag wert. Und so erhielt auch Pedro Lenz einen grossen Applaus für seine Lesung.
Einige Werke der beiden Autoren konnten am Büchertisch erworben werden und bringen so manchem Besucher des Literaturschiffes 2025 diesen Abend noch mehrmals in beste Erinnerung.