Mein Kind als Mittelpunkt des Universums
06.11.2024 Musik/Kultur, GesellschaftKultur Mit «Super Theo» präsentiert das Theater Baar dieses Jahr ein leichtfüssig humoristisches, jedoch nicht minder gesellschaftskritisches Stück. Regie führt die Theaterpädagogin und Schauspielerin Claudia von Grüningen.
INGRID HIERONYMI
«Aus unserem Kind soll einmal etwas ganz Besonderes werden», wünschen sich viele Eltern insgeheim. So auch das Ehepaar Jasmin und Yves als Protagonisten der Erziehungskomödie von Katja Früh und Patrick Frey. Das ganze Familienleben wird nur auf dieses eine Ziel ausgerichtet. Das fängt schon vor der Geburt des designierten Wunderkinds Theo an, als sich die Eltern zu einem Kaiserschnitt statt zu einer natürlichen Geburt mit Hebamme durchringen. Kaum geboren, wird für Theo ein «Babyflüsterer» engagiert, der die Eltern mit der Körpersprache ihres Kindes vertraut machen soll. Natürlich soll so einem Kind auch nur das Beste vom Besten geboten werden. Als Theo acht Jahre alt wird, scheuen sie denn auch keine Kosten für einen professionell organisierten Themengeburtstag unter dem Motto «China». An diesem nimmt unter anderem eine exzentrische Tante teil, die in einem unbeobachteten Moment eine winkende Glückskatze mitlaufen lässt. Oder auch der Opa, der beim Abräumen unverfroren alle Sektgläser austrinkt. Eine richtig coole Sache also. Nur das Geburtstagskind Theo kann damit nichts anfangen. Als er herbeigerufen wird, um mit den erwachsenen Gästen einen Ballon steigen zu lassen, lässt er ausrichten, dass er lieber in seinem Zimmer bleiben und mit seinen gleichaltrigen Freunden «gamen» möchte.
Bedürfnisse des Kinds versus elterliche Ambitionen
Bianca Schilter, Vorstandsmitglied des Theaters Baar und zuständig für die Kommunikation, sagt: «Nach dem eher schweren Thema des letzten Jahres mit dem ZVB-Nachtbus wollten wir dieses Jahr eine gute Portion an süffigem Humor in unser Werk packen, ohne in Slapstick-Komik zu verfallen.» So seien sie auf die Idee gekommen, das Thema der Kindererziehung plakativ aufzugreifen. Auf die Frage, weshalb Theo im Stück nie selber auf der Bühne zu sehen ist, antwortet Schilter: «Es braucht die Präsenz des Knaben gar nicht, da seine Anwesenheit den Fokus von den Eltern wegnehmen würde.» In den 23 Szenen, welche an unterschiedlichen Orten wie der Familienwohnung und dem Fussballplatz spielen, gehe es darum, die Perspektive der Eltern zu beschreiben. Dies, ohne dass das Kind selbst zu Wort komme. Dass die Bedürfnisse des Kindes nie zur Sprache kommen, scheint das Elternpaar gar nicht zu bemerken. Die Botschaft des Stücks an Eltern in der heutigen Zeit ist klar. «Man sollte sich zurücknehmen und versuchen zu spüren, was das Kind überhaupt braucht», sagt Schilter. «Eltern sollten es vermeiden, ihren persönlichen Masterplan auf Biegen und Brechen durchziehen zu wollen, sondern vermehrt auf die Bedürfnisse des Kindes eingehen.»
Anspruchsvolle Inszenierung
Das Bühnenbild wurde aus einer in jeder Szene wechselnden Anordnung von farbigen Bauklötzen kreiert. Was einfach tönt, ist in Wirklichkeit ziemlich aufwendig. So mussten die Zuschauenden aus der wechselnden Anordnung der Bauklötze, passenden Hintergrundgeräuschen und den Dialogen der Schauspielenden jeweils herausfinden, wo die Szene gerade spielte. So beispielsweise auf dem Fussballplatz, in einem Hallenbad oder in einer Arztpraxis. Für jede einzelne Szene mussten die Bauklötze neu positioniert werden, was hohe Anforderungen an die Geschicklichkeit der Schauspielenden stellte. Zwischen einzelnen Szenen führte ein Sprecher im Hintergrund orakelartig durch die Wandlung der Kindererziehung im Lauf der menschlichen Geschichte. Hiess es in der Antike noch: «Du bist mein Sklave, musst gehorchen und ich darf dich töten und fressen», lautete das Kredo ab der 1968er Epoche «Du musst gar nichts, ich darf dir keine Grenzen setzen, du bist mein Tyrann, ich dein Sklave.»
Eltern wollen keine Mittelmässigkeit akzeptieren
Die Eltern haben sichtlich Mühe, damit klarzukommen, dass ihr Kind nicht zum ersehnten Hochbegabten, sondern zu einem ganz normalen Kind heranwächst. Als Theo auf dem Fussballplatz nicht durch Höchstleistungen glänzt, wird die Schuld dem Trainer zugeschoben. Die Hinweise von Lehrpersonen, dass Theo ein ganz durchschnittlicher Bub sei, werden geflissentlich ignoriert, oder es werden die Lehrmethoden kritisiert. Kein Wunder, sagt die Lehrerin kurz vor einem Nervenzusammenbruch: «Unsere Schule ist gut. Das Einzige, das nicht gut ist, sind die Eltern». Auch das Engagement einer Hochbegabtenberaterin, die nach diversen kostspieligen Tests bei Theo einen IQ von 92 feststellt, oder die Einschreibung ihres Sohnes an einer Kunstakademie, aus der er alsbald wieder rausfliegt, bringen die Eltern nicht zur Besinnung. Als Theos Übertritt in die Sek B von der Klassenlehrerin angekündigt wird, muss sich ein «Care-Team für Eltern mit schwerem posttraumatischem Übertrittsschock» um die am Boden zerstörten Eltern kümmern, währenddem Theo diese Botschaft ganz locker nimmt. Nicht einmal das Zerbrechen der Paarbeziehung oder die Vorladung des mittlerweile hoch verschuldeten und arbeitslosen Yves zum Sozialamt vermag die Eltern zur Raison zu bringen. Am Schluss erfolgt doch noch eine Zäsur zu einem Happy End, an das wohl niemand mehr geglaubt hätte. Erleichtert verfallen die Zuschauenden in einen tosenden Applaus.
Hinweis:
Das Theaterstück wird noch an folgenden Daten in der Schrinerhalle Baar aufgeführt: Freitag 8., Samstag 9., Donnerstag 14., Donnerstag 21., Samstag 23. und Freitag 29. November, jeweils um 20 Uhr und Sonntag 24. November um 18 Uhr. Die Theater-Bar und die Türe werden jeweils 45 Minuten vor Beginn der Aufführung geöffnet.